Diplom-Psychologe

Durch Diplom-Psychologe Dr. Matthias Probandt

Gestalttherapie

Ein Weg zum wahren Selbst


Die Gestalt-Arbeit deckt all die Tricks und Mechanismen auf, die uns an einer Begegnung hindern. Der sich permanent vergegnende Mensch, der weder sich selbst wahrnimmt noch echten Kontakt zu anderen hat und dabei möglicherweise dennoch ein „funktionierendes Als-ob-Leben“ führt, hat sich am Ende um alles gebracht, was er hätte entwickeln können. Dabei geht es in der Gestalt-Arbeit eben nicht darum, primär intellektuell zu verstehen – wie z. B. in der klassischen Analyse – oder primär technisch sein Verhalten zu verändern – wie in der klassischen Verhaltenstherapie –, sondern um intensive Beziehungsarbeit, in der durch dramatisierende und konfrontierende Elemente Begegnung erprobt wird und daraus ein emotionales wie auch körperliches Begreifen entsteht. Die daraus gewonnene Einsicht ist weder nur intellektuell noch primär darauf ausgerichtet, Verhalten zu verändern, sie wartet auch nicht auf Lösungen von außen, sondern entwickelt ein tieferes, umfassenderes Begreifen, aus dem sich eine Redynamisierung selbstregulativer Prozesse ergibt.

Kommunikationsfähigkeit, Konfliktbewältigungskompetenz und Sensibilität für die eigenen Prozesse als auch für die Prozesse anderer ermöglichen erhöhte Aufmerksamkeit, erweiterte Handlungsspielräume – und damit lebendigere Begegnungen: Die Gestalt-Idee, verstanden als Handlungstheorie, als Methode und als Praxis, ist damit das zentrale Element in der Gestalt-Weiterbildung.

In der Psychotherapie wie auch in anderen beratenden Feldern ergeben sich so kreativere Gestaltungsmöglichkeiten für neue Wege zum Menschen. Das Erkennen eigener Resonanz in der Begegnung mit anderen und die Möglichkeit, daraus „echtere“ Begegnungen zu entwickeln, lassen eine andere Qualität im Miteinander möglich werden.

Die Gestalt-Arbeit ist ursprünglich ein Abkömmling aus der Psychoanalyse Sigmund Freuds und hat sich durch frustriert gelangweilte Psychoanalytiker entwickelt, die keine Lust mehr auf kontakt- und beziehungslose, ausschließlich historisch-archäologisch zentrierte „Halbschlaf-Analysen“ hatten. Fritz und Laura Perls und später viele andere wollten nichts Geringeres, als alle Möglichkeiten nutzen, Beziehung zu anderen zu optimieren, und haben sich so vor allem aus gestaltpsychologischen, körpertherapeutischen und psychoanalytischen Elementen, hier vor allem von Sándor Ferenczis „Gegenseitiger Analyse“, inspirieren lassen. Das Theater schließlich mit seinen vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten wurde dann zum bevorzugten Arbeitsinstrument, um durch das Arbeiten an der eigenen Dramaturgie seine „Wahrheit“ und seinen Stil zu finden.

Nur Selbstakzeptanz öffnet uns die Augen für andere Menschen und ermöglicht uns ein gesamtsensorisches „360°-Wahrnehmen“. Diese gesteigerte Aufmerksamkeit nach außen wiederum führt zusammen mit einer gesteigerten Selbstwahrnehmung nach innen zu dem verbesserten Kreislauf aus Aufmerksamkeit, Fokussierung, Wahrnehmung, eigener Resonanz, emotionaler Zuordnungsfähigkeit (z. B. Trauer, Freude, Wut, Angst) und Ausdrucksfähigkeit im Kontakt mit anderen.

Dieser so genannte Impressions-Expressions-Zyklus ist die Verbindung zwischen uns und den anderen bzw. der Welt. Je klarer wir mit uns sind, also je mehr „geschlossene Gestalten“ in uns als erledigt gelten können, desto freier sind wir, auf äußere Eindrücke reagieren zu können. Je effektiver wir auf äußere Geschehnisse reagieren können, desto besser gelingt es uns, innerlich „aufgeräumt“ zu bleiben, d. h. ohne ungewollte Verstrickungen wie z. B. ungeklärte Konflikte.

Die in den 50iger Jahren sich schnell etablierende Gestalttherapie hat sich bis heute zu der effektivsten Form der Beziehungsgestaltung weltweit entwickelt. Viele durch die Gestalttherapie inspirierte oder mit der Gestalttherapie gemeinsam entstandene Verfahren sind mit der Gestalttherapie bzw. der Gestalt-Arbeit auf die eine oder andere Weise verwandt oder benutzen ihre Methodik – teilweise auch ungekennzeichnet – und geben sie manchmal auch als ihre aus.

Anders als z.B. in der klassischen Verhaltenstherapie geht es in der Gestalttherapie nicht darum, zielgerichtet Verhalten zu verändern, sondern um die Steigerung der Wahrnehmungsfähigkeit eigener Blockaden und die Entwicklung von kreativer Selbstregulation. Selbstregulation ist in diesem Sinne der Prozess der biopsychologischen Homöostase, also das Verwerten von Annehmbarem und das Verwerfen bzw. „Ausscheiden“ von Unannehmbarem.

Das Menschenbild der Gestalttherapie entwickelt sich aus der Idee, dass jeder von uns alle ihm innewohnenden Möglichkeiten auch entfalten möchte und dass wir dafür innere und äußere Freiheit brauchen. Freiheit von allzu tradierten Normen und allzu engen Konventionen. Die spielerische Lust am Experimentieren, also Fehler machen und daraus lernen als Wiederbelebung unseres neugierigen, kindlichen Selbst, ist Leitbild für die Idee von der Persönlichkeitsentwicklung in der gestalttherapeutischen Arbeit.

Die Begegnung mit der Welt, also den anderen, ist dabei das herausragende Medium. Erst Kontakt in einer „Ich-Du-Begegnung“ ermöglicht es uns, uns selbst zu erfahren.

Die Fixierung eines Themas vor dem Hintergrund der eigenen Biographie ist meistens das, was uns „festhält“ und uns an einer Weiterentwicklung hindert. Dieses Thema – also die Figur vor dem Hintergrund unseres eigenen Lebens – kann nur integriert werden, wenn wir alles tun, um diese Fixierung zu lösen. Erst dann kann unsere selbstregulative Kraft uns wiederbeleben. Wenn die Gestalt sich schließen kann, kann der Mensch, statt an seinen Fixierungen zu hängen, wieder sein Leben leben und dabei kreativ und neugierig ohne Angst vor Fehlern sich in die Welt hineinentwickeln. Dafür steht die Gestalttherapie.

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