Um es gleich vorwegzusagen: Jeder von uns braucht Selbsterfahrung und sollte sie sich, so gut er kann, gönnen. In der kurzen Lebensspanne unseres Daseins verbringen wir durchschnittlich das erste Fünftel bis Viertel der Zeit damit, in Abhängigkeit von unseren Eltern die wesentlichen Grundlagen für das uns bevorstehende Leben zu erlernen. Im letzten Fünftel oder Viertel unserer Lebenszeit sind wir, abgesehen von den beginnenden Gebrechlichkeiten, auch mit der zunehmend komplexer werdenden Organisation unseres Alltags beschäftigt und fangen nicht selten damit an, wieder zu vergessen, was wir mühsam erlernt haben.
Die Zeit zwischen diesen beiden Lebensabschnitten sollten wir idealerweise verantwortungsvoll, selbstbestimmt, kreativ und, wenn möglich, selbstverwirklichend gestalten. Dabei gilt das Credo, dass wir uns selbst unmoderiert am schlechtesten wahrnehmen können, weil erstens das Gehirn sich nicht bei der Arbeit selbst betrachten kann, weil zweitens wir uns in der Regel durch geschickte Manipulation unseres Umfeldes rückmeldefreie Zonen schaffen und weil drittens man niemandem „so leicht auf den Leim geht“ wie man sich selbst.
Diese Erkenntnis sollte dazu führen, die Notwendigkeit einer externen „Bespiegelung“ anzuerkennen. Der Spiegel kann wie in früheren Zeiten ein Hofnarr sein, manchmal ein unbestechlicher Freund, meistens aber sollte es ein professioneller Selbsterfahrungsbegleiter sein. Das kann ein Coach, Supervisor, ein Therapeut, ein Berater oder einfach ein aufmerksamer, wacher, interessierter Mensch, gleich welchem Berufsstand er angehört, aus dem nicht zu nahen Umfeld (wegen der Bestechlichkeit und der Manipulierbarkeit) sein.
Sich selbst durch die Erfahrungswelt eines anderen reflektieren zu lassen bietet viele Vorteile. Es ist das wunderbarste Regulativ für ein gelingendes Leben und zum anderen die beste „Sich-auf-den Leim-gehen-Prophylaxe“, die ich mir als Psychologe vorstellen kann.
Dipl.-Psych. Dr. phil. Matthias Probandt
Diplom-Psychologe / Psychotherapeut / Gestalttherapeut